Die offene Landschaft, ist ein Produkt unserer Zivilisation, also auch ein Stück unserer Kulturgeschichte. Es war der Übergang von den Jäger- und Sammlerkulturen zum Ackerbau, der jene Entwicklung einleitete. Ohne darauf einzugehen, wie die Entwicklung im Einzelnen verlief, soll hier ein Aspekt hervorgehoben werden, der für die Artenvielfalt in unseren Breiten eine zentrale Rolle gespielt hat. Gemeint sind die sogenannten Kalk-Halbtrocken-rasen; sie bilden einen Arbeitsschwerpunkt der Natur- und Umwelthilfe Goslar e. V., insbesondere im Salzgitterschen Höhenzug im Dreieck Heißum-Othfresen-Liebenburg.
Schafbeweidung verhinderte das Aufkommen von Büschen und Bäumen, poröser Kalkboden ließ Wasser schnell versickern. Die Beweidung verhinderte außerdem die Entstehung dicker Humusschichten. Auf diesen Flächen konnten sich Pflanzen ausbreiten, die im hohen Bewuchs fetter Wiesen oder gar im schattigen Wald der Konkurrenz unterlegen waren. „Halb“trockenrasen heißen diese Kleinodien übrigens, weil sie im Zuge extensiver menschlicher Wirtschaftsweise entstanden. Echte, natürlich entstandene Trockenrasen gibt es auch, aber sehr viel weiter im Süden.
Was ist denn aber nun das Besondere an diesen Lebensräumen mit dem etwas holprigen Namen? Vor gut fünf Jahren erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Jahr 2010 zum Jahr der Biodiversität; die anschließenden 10 Jahre (2011-2020) zur Dekade der biologischen Vielfalt. Nun, genau in diese Kategorie passen unsere Kalk-Halbtrockenrasen. Artenvielfalt ist geradezu das Kennzeichen dieser außergewöhnlichen Lebensräume, und - wen wundert´s – die Pflanzenwelt ist die Grundlage dieser Vielfalt. So kommen mehr als sechshundert Arten von Blütenpflanzen, also knapp ein Viertel unserer heimischen Arten, fast ausschließlich auf Kalk-Halbtrockenrasen vor. Zu diesen Arten zählen einige der schönsten (und seltensten!) Blütenpflanzen unserer Flora. Es beginnt ganz früh im Jahr, schon im März öffnen sich die ersten Blüten. Mit dem fortschreitenden Frühling werden die Flächen zusehends bunter, schließlich haben wir im Mai, Juni und Juli, je nach Witterung, den Höhepunkt dieser Entwicklung. Der Blütenreigen endet erst im Herbst.
Überließe man diese wertvollen Lebensräume sich selbst (wie in der Vergangenheit geschehen), würden sie in wenigen Jahren verbuschen und sich wieder zum Wald entwickeln. Dem muss entgegengewirkt werden. Die Landschaftspflege im Salzgitterschen Höhenzug bei Heißum sowie am Leitchenberg bei Neuenkirchen ist daher sehr wichtig und braucht Partner, um beispielsweise dem Stattlichen Knabenkraut, einer heimischen Orchideenart, gute Lebensbedingungen zu bieten. Dies bedeutet in erster Linie Licht und Sonne und magere Nährstoffverhältnisse auf Kalkstandorten. Da muss es jemanden geben, der einen mobilen Zaun aufbaut und seine Tiere betreut, in diesem Fall das Ehepaar Kroll (s. Foto) aus Hahndorf. Letztendlich besorgen dann die unterschiedlichen Tierarten die Arbeit: Schafe und Ziegen und als Chef ein Lama. Diese Kombination ist weit und breit einzigartig! Alle fressen in unterschiedlichen Etagen und haben ein anderes Lieblingsfutter. Dadurch gibt es viel Licht für den Kalkhalbtrockenrasen. Im nächsten Frühling haben dann die Orchideen viel Platz zum Blühen.
Die Natur- und Umwelthilfe Goslar e.V. hat ca. 32 ha Kalkhalbtrockenrasenflächen in Heißum, Othfresen und Neuenkirchen u. a. auch mit Hilfe der öffentlichen Hand erhalten und entwickelt. Diese seltenen Biotope brauchen die Beweidung durch Schafe, Ziegen und genügsame Rinderrassen. Kai Gliese aus Othfresen hilft daher ebenfalls dem Artenschutz und dem Naturschutzverein, indem er seine Galloways seit vielen Jahren auf die Kalkhalbtrockenrasen im Salzgitterschen Höhenzug bringt und in Koppelhaltung mobil einzäunt. Die Schafe von Jörg-Peter Krone pflegen das Biotop am Leitchenberg bei Neuenkirchen. Kai Gliese, dem Ehepaar Kroll und nicht zuletzt Jörg-Peter Krone sei herzlich gedankt!
Artenvielfalt war das Stichwort, und die beginnt erst mit den Pflanzen. Eine solche Blütenfülle zieht noch andere Arten von Lebewesen an: die Insekten, an erster Stelle natürlich Schmetterlinge.
Neben den Schmetterlingen finden wir Bienen, Hummeln, Schwebfliegen, Wespen, Raubfliegen, Tanzfliegen und nicht zuletzt die Musikanten unter den Insekten: Heuschrecken.
Dieses Angebot zieht andere an; angefangen bei den Spinnen, über Eidechsen, Blindschleichen bis hin zu den Gefiederten wie Neuntöter, Wendehals, Schwarzkehlchen, um nur die wichtigsten zu nennen. Und auch damit hört es noch nicht auf, denn Turmfalke, Bussard und Rotmilan schätzen diesen offenen Lebensraum genauso: eben Artenvielfalt pur. Deshalb noch einmal: Den vierbeinigen Landschaftspflegern sei Dank!
Natur- und Umwelthilfe Goslar e. V.
Rainer Schlicht
1. stellv. Vorsitzender
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